Kontext

Die Auferstehungskirche Fürth und das Reformationsjubiläum 2017

Pfarrerin Irene Stooß-Heinzel und Pfarrer Wolfgang Vieweg zur Idee und Entstehung eines Kunstprojektes zum Reformationsjubiläum

Im Jahr 2017 jährt sich zum 500. Mal die Veröffentlichung der 95 Thesen Martin Luthers, die zu einer Reform der Kirche und zur Entwicklung der evangelischen Kirche führte.

Aus diesem Anlass wird es bundesweite Aktionen geben. Aber auch jede einzelne Gemeinde ist eingeladen, sich an diesem Gedenken zu beteiligen. Auch die Auferstehungskirchengemeinde möchte einen Beitrag zu diesem Reformationsjubiläum leisten.
Die Auferstehungskirche versteht sich als offene Kirche im Stadtpark und hat als Schwerpunkte ihres Angebots Musik und Kunst in der Kirche. Seit einigen Jahren gab es eine Fülle von Ausstellungen in der Kirche.

So fragte der Arbeitskreis Kunst und Kirche eine Künstlergruppe (Christian Fritsche, Johanna Klose und Petra Annemarie Schleifenheimer) an, ob sie sich Gedanken über eine künstlerische Begleitung machen würde.
Diese Gruppe überlegte, ob eine singuläre Veranstaltung oder ein sich über einen längeren Zeitraum erstreckendes Projekt eher geeignet wäre. Ein Zeitraum mit einem Zyklus, der sich am Kirchenjahr orientiert, bietet den unterschiedlichen Ideen viel mehr Raum als eine Einzelveranstaltung. Das Projekt erstreckt sich deshalb in der Planung von März bis Oktober 2017.

Durch den längeren Zeitraum ist eine Verschränkung und Kooperation mit Veranstaltungen der Kirchengemeinde, der Kirchenmusik und des Evangelischen Bildungswerks möglich.

Grundgedanken und Idee

Das Kunst-Team machte sich zunächst Gedanken über die Frage, was ihnen Reformation bedeutet, verbunden mit der Frage, was Martin Luther vielleicht heute re-formieren, neu ausrichten und in Form bringen würde.
Für das Kunst-Team ist Reformation ein Prozess, eine permanente Neu-Ausrichtung. Es entwickelte vier Aspekte im Sinne eines Reformierungswunsches in Kirche und Gesellschaft:
Wandel („um mich herum“)
Begegnung („mit euch“)
Sinnsuche („in mir“)
Freiraum („für andere“)
Diese vier Aspekte beschreiben ein Spannungsfeld, das den Rahmen für die Veranstaltungen des Projekts absteckt. Bei diesen Veranstaltungen werden diese Aspekte in unterschiedlicher Form aufgegriffen.
Dabei spielt die Begegnung zwischen jung und alt, Alt- und Neubürgern, Kerngemeinde und Menschen mit Distanz zur Kirche sowie zwischen den Religionen eine wichtige Rolle. Viele Menschen haben Schwierigkeiten im Umgang mit Veränderungen, die auch mit Ängsten verbunden sind, und sind sich nicht bewusst, dass der Prozess der Veränderung schon immer am Laufen ist.
Viele Angebote sind interaktiv gedacht. Gerade auch im Außenbereich der Kirche ist eine Beteiligung auch für kirchendistanzierte Menschen möglich und erwünscht.

Reformation als Herausforderung

von Pfarrerin Irene Stooß-Heinzel

Durch die Verortung der vier Grundthemen „Veränderung“, „Sinnsuche“, Freiraum“ und „Begegnung“ im Kirchenraum und seiner Umgebung ergeben sich drei Kunst- und Begegnungsorte – ein Podest im Kirchenschiff, ein Tafelkreuz durch die Kirche in den Stadtpark, ein ‚Container’ im Außenraum des Stadtparks. Diese bringen die Themen der Reformation als Herausforderung für die heutige Zeit ins Bewusstsein der Besucherinnen und laden ein zu Gespräch, Auseinandersetzung und kreativer Gestaltung bei verschiedenen Aktionen und Projekten im Laufe des Jahres.

„Reformkiosk“© – eine „soziale Skulptur“
Der Begriff „soziale Skulptur“ oder „soziale Plastik“ ist ein erweiterter Kunstbegriff des deutschen Künstler Joseph Beuys. Er bezeichnet damit gesellschaftsverändernde Kunst, die auf eine Strukturierung und Formung der Gesellschaft ausgerichtet ist und menschliches Handeln mit einschließt. Kunst ist nach Beuys mehr als das Betrachten oder Berühren von materiell fassbaren Artefakten.
Dieses Kunstkonzept konvergiert mit dem Grundanliegen der Reformation: Die Reformation wollte Kirche verändern und hat entscheidende gesellschaftliche Entwicklungen ausgelöst. Das Projekt „Reformkiosk“© stellt Reformation deshalb nicht nur dar, sondern nutzt Kunst, um im Sinne der Reformation kirchen- und gesellschaftsverändernd zu wirken. „Reformkiosk“© verdeutlicht und bespielt die Wechselwirkung von Kirche und öffentlichem Raum. Glaube wirkt in der Welt und die Welt braucht und verändert Glauben – der „Reformkiosk“© öffnet Denk- und Begegnungsräume, lädt ein zu Sinnsuche in der Kirche, zu Veränderung und Freiraum in Kirche und Gesellschaft.

Die Grundthemen des „Reformkiosk“©
Veränderung – „Um mich herum“
Luther wollte eine Veränderung der Kirche und hat eine Reformation eingeleitet. Noch immer sind die Themen Veränderung und Wandel Herausforderungen für uns. Veränderungen in Familie und Gesellschaft (z.B. steigende Zahl von Flüchtlingen, Familienformen) werden oft als Verunsicherung wahrgenommen. Die Rückbesinnung auf die Reformation kann Veränderung als Chance deutlich machen. „Reformkiosk“© lädt ein, sich mit Veränderungsprozessen an der eigenen Person, in Kirche und Gesellschaft auseinanderzusetzen.

Sinnsuche – „In mir“
Die Kirche steht für Spiritualität, für Werte und Halt im Glauben. Immer mehr Menschen erleben Orientierungslosigkeit und suchen nach Halt und Spiritualität – immer seltener allerdings in der Kirche. „Reformkiosk“© schafft deshalb Verbindung vom öffentlichem Raum zur Kirche, lädt ein, die Kirche zu betreten und sich dort auf Sinnsuche zu begeben.

Freiraum – „Für andere“
Mit der Reformation begann die Neuzeit mit ihren sich öffnenden Freiräumen für Menschen innerhalb von Kirche und Gesellschaft. Nach wie vor steht der Glaube für die Freiheit der Menschen, nach Maßstab von Bibel und Glauben zu denken, zu handeln und Verantwortung zu übernehmen für sich und andere. „Reformkiosk“© thematisiert Freiheit für mich und andere und bietet Räume zur eigenen Gestaltung.

Begegnung – „Mit euch“
Die Erfahrung von tragender und befreiender Gemeinschaft in der Kirche steht im Gegensatz zur zunehmenden Fremdenfeindlichkeit und Abgrenzung in unserer Gesellschaft. „Reformkiosk“© will Begegnungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Kirche schaffen – von KünstlerInnen und BesucherInnen, von Kirchennahen und Kirchenfremden, von Menschen verschiedenen Alters und verschiedener Kulturen.

Die „sozialen Skulpturen“
Das Podium
Das Podium wird im Mittelschiff errichtet, am Kreuzungspunkt der Längs- und Querachse der Kirche. Es hat zwei Ebenen – eine untere als Ort für Gespräche, Diskussionen und Ausstellungen und eine obere Ebene, in Höhe der Empore, als Ort für Perspektiv- und Blickwechsel. Konzertbesucher erleben von den Emporen aus MusikerInnen auf Augenhöhe, KirchenbesucherInnen steigen empor, kommen dem Himmel näher, erkunden die Kirche von neuer Perspektive. Das bei der Kunstaktion „Glaube. Liebe. Hoffnung“ des Künstlers Wolfgang Kesten verhüllte Podium wird zum betretbaren Allerheiligsten in der Kirche.

Der Kiosk
Der Kiosk steht als blauer Kubus zentral im Stadtpark auf einer Sichtachse zur Auferstehungskirche. Menschen, die zwischen Straße und Rosengarten, zwischen Kirche und Parkcafé flanieren, stoßen auf ihn. Der Baucontainer dient als Ort für einzelne Aktivitäten mit interaktivem oder partizipativem Charakter. Es werden Interviews geführt, Menschen können hier ins Gespräch kommen, Fragen stellen und Antworten finden, eigene Thesen formulieren und anschlagen. Der Kiosk dient auch als Mittler zwischen Drinnen-Kirche und Draussen-Welt, Aktionen und Ausstellungen in der Kirche finden hier ihr Pendant, Ausstellungsstücke stehen als pars pro toto für das Geschehen in der Kirche.

Das Tafelkreuz
Entlang den Gängen der Kirche werden Tische und Bänke aufgestellt, die einladen zum gemeinsamen Essen und Feiern. Die Kirchentüren werden geöffnet und das Tafelkreuz verlängert sich in den Stadtpark und auf den Kirchenvorplatz. Am Tafelkreuz wird Tischabendmahl gefeiert, bei einem Stadtteilfest als ‚Dîner en couleur‘ begegnen sich Menschen aus der Umgebung, Kirchenmitglieder und Anwohner, Menschen verschiedener Kulturen und Nationen.